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04.09.2013

Roman Kent, Auschwitz-Überlebender und Präsident des Internationalen Auschwitz Komitees: Verfolgung von Naziverbrechen – eine unmißverständliche Warnung

 
 
Roman Kent, Auschwitz-Überlebender und Präsident des Internationalen Auschwitz Komitees © Boris Buchholz

Roman Kent, Auschwitz-Überlebender und Präsident des Internationalen Auschwitz Komitees

 

 

 

Ich werde oft gefragt, warum wir Nazi-Kriegsverbrecher immer noch strafrechtlich verfolgen müssen. Meine Gegenfrage lautet: Wie kann es eine Verjährung für Nazi-Verbrechen gegen die Menschlichkeit geben und wieso sollten die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen werden? Egal wie viel Zeit vergangen ist, egal wie lange es die Täter geschafft haben, sich der Entdeckung zu entziehen, egal wie viel Zeit die Justiz sich gelassen hat: Die Täter müssen wissen, dass die zivilisierte Welt sie verfolgen wird, wenn nötig für den Rest ihres Lebens und an den entlegensten Winkel der Erde. Die fortgesetzte Strafverfolgung von Nazi-Verbrechern beinhaltet auch eine einzigartige und starke Botschaft: Auch nach siebzig Jahren gibt die Welt nicht auf, diejenigen zu orten und vor Gericht zu stellen, an deren Händen das Blut unschuldiger Menschen klebt.

Eben deswegen darf kein Täter ohne Gerichtsurteil davonkommen. Auch wer sich jahrelang vor der Justiz verstecken konnte, soll sich nie in der Sicherheit wiegen können, bis zum Ende des Lebens unbehelligt und unerkannt zu bleiben.

Noch etwas ist mir im Andenken an unsere ermordeten Freunde und Familienmitglieder wichtig:
Wenn wir von den Opfern in Auschwitz und anderen Konzentrationslagern sprechen, sollten wir immer daran denken, dass ihr Tod kein „Sterben“ im eigentlichen Sinn war. Sie wurden brutal umgebracht, ermordet und in Krematorien verbrannt.

Mit der Verwendung von passiven Wörtern schwächen wir die historische Wahrheit ab und nehmen so unwillentlich die Täter dieser heimtückischen Verbrechen in Schutz.

Es bleibt ein Fehler, den durch die Deutschen begangenen extremen Völkermord zu verharmlosen. Es bleibt ein Fehler, die furchtbaren Fakten zu verwässern und nicht immer wieder genau zu erzählen, wie über sechs Millionen Menschen umgebracht wurden. Sie starben nicht einfach. Sie wurden ermordet. Menschen, die in fünfzig oder hundert Jahren über den Holocaust lesen, müssen wissen, dass die Opfer nicht eines natürlichen Todes starben. Wir müssen darauf achten, dass die begangenen Verbrechen und Brutalitäten nicht durch die Sprache vernebelt werden.

Es ist unerlässlich,  jetzt und in der Zukunft die Ereignisse so zu beschreiben, wie sie wirklich waren, damit sie nicht mit dem Lauf der Zeit verzerrt werden.

Auch deshalb war es von besonderer Bedeutung, dass die Vereinten Nationen die Existenz des Holocausts durch ein formales Gedenken anerkannten. Dieses offizielle Gedenken der Vereinten Nationen – am 27. Januar eines jeden Jahres, dem Tag der Befreiung von Auschwitz – bleibt auch zukünftig der unmissverständliche Hinweis  an die gesamte Welt –und insbesondere an alle Leugner –, dass der Holocaust in der Tat ein Teil unserer gemeinsamen Geschichte ist.

Wir Überlebenden sind den Vereinten Nationen sehr dankbar für solche weltweite Anerkennung, obwohl sie sechzig Jahre auf sich warten ließ. Trotzdem, Anerkennung allein reicht nicht. Wir Überlebenden werden nie die Millionen vergessen, die ermordet wurden.

Denn wenn wir vergessen, würde das Gewissen der Menschheit neben den Opfern begraben werden.

Roman Kent (New York),
Überlebender, Präsident des Internationalen Auschwitz Komitees