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12. April 1945: Von Auschwitz Fürstengrube nach Sarau

Fürstengrube Stele
Fürstengrube Stele
 
Cap Arcona
Cap Arcona 

„Sie sahen uns, sie wussten, was geschah.“

Am 12. April 1945 erreichte in Lumpen, abgemagert und vollkommen erschöpft einTrupp von Konzentrationslager-Häftlingen das idyllische Örtchen Sarau bei Plön in Schleswig-Holstein: Der Heimatort des SS-Mannes Max Schmidt, seines Zeichens bis Mitte Januar Kommandant des Nebenlagers von Auschwitz Fürstengrube. Die Sarauer konnten das Elend dieser Menschen geradezu mit Händen greifen, aber sie ignorierten es so weit wie möglich.

Die jüdischen Männer waren nur noch ein kläglicher Rest der Gruppe, die etwa drei Monate zuvor in Fürstengrube aufgebrochen war. Am 19. Januar 1945 hatte man die Häftlinge in Auschwitz antreten lassen und aus den Lagern getrieben. So auch die Insassen von Fürstengrube - etwa tausend meist jüdische Männer: 250 Kranke wurden zurückgelassen und einige Tage später von der SS erschossen.

Es war eisig kalt in diesen Januartagen: Minus 20 Grad. Viele der Häftlinge trugen Holzpantinen und mussten schließlich barfuss laufen. Wer zurück blieb, wurde sofort erschossen. So war der Weg bis nach Gleiwitz von Toten gesäumt.

Das bestätigte in seinen späteren Aufzeichnungen sogar der ehemalige Lagerkommandant Höß: „Der Weg der Leidenswege war leicht zu verfolgen. Alle paar hundert Meter lag ein zusammengebrochener Häftling oder ein Erschossener.“
Auch vom Kommandanten Max Schmidt wird berichtet, dass er persönlich Häftlinge exekutiert hat.

In Gleiwitz trafen verschiedene Häftlingskolonnen zusammen. Die Fürstengruber wurden mit anderen, darunter achthundert Frauen, in offene Viehwaggons verladen. Etwa hundert bis hundertfünfzig Menschen waren in einem Waggon zusammengepfercht. Durch einen tragischen Irrtum wurde der Zug nach Mauthausen und nicht wie geplant nach Nordhausen dirigiert.

Den Häftlingen stand eine Höllenfahrt von über einer Woche bevor. Sie waren in den offenen Waggons ohne Schutz vor dem eisigen Wind, ohne Nahrung oder etwas zu trinken. Es gab keinen Platz, auch nicht um die Toten beiseite zu schieben. Wer fiel, hatte kaum eine Chance wieder hochzukommen. Wer aber den Kopf zu hoch über den Waggonrand hielt, riskierte von Schmidt und seinen Wachleuten erschossen zu werden.

Als der Zug Mauthausen erreichte, weigerte sich die Lagerführung, die Häftlinge aufzunehmen, und so ging das Elend weiter Richtung Norden über Nürnberg, Leipzig, Weimar bis nach Nordhausen. „Viele Menschen standen auf den Brücken, an der Strecke, sie sahen uns, sie wussten, was geschah. Keine Reaktionen, keine menschliche Regung.“ So beschrieb Heinz Galinski, der spätere Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, wie er die Außenwelt auf dieser Fahrt wahrgenommen hatte.

Da lebten von den Fürstengrubern noch höchstens dreihundert Menschen.
In den nächsten Monaten schufteten sie tief unter der Erde in den Stollen von Dora  Mittelbau, Doch als Mitte April die alliierten Truppen sich Nordhausen näherten, beschloss Max Schmidt,  seine Häftlinge keinesfalls anderen zu überlassen. Er versammelte sie und verließ mit ihnen das Lager in Richtung Magdeburg. Auch auf diesem Marsch gab es viele Tote durch Erschießungen. Wie viele der Häftlinge schließlich in Max Schmidt Heimat anlangten, ist ungewiss, es können kaum zweihundert gewesen sein. Sie wurden zur Arbeit bei den umliegenden Bauern und Handwerkern eingeteilt, zwanzig von Schmidt bevorzugte Häftlinge kamen auf seinem Hof unter. Auch in dieser Zeit kam es noch zu Misshandlungen und Erschießungen, die der Bevölkerung nicht entgangen sein können.

Am 30. April 1945  wurden einige der Gefangene durch das Schwedische Rote Kreuz gerettet. Die übrigen trieb man am 1.  Mai 1945 auf einen weiteren Fußmarsch in Richtung Neustadt an der Ostsee, auch dieser begleitet von erneuten Erschießungen. In der Lübecker Bucht lagen drei Schiffe bereit, die diese KZ-Häftlinge vor allem aus Neuengamme über die Ostsee transportieren sollten: Die Cap Arcona, die Thielbeck und die Athen. Max Schmidts Häftlinge wurden auf die Arcona und die Thielbeck verladen. Am 3. Mai 1945 wurden durch einen tragischen Irrtum  die beiden Schiffe das Ziel britischer Jagdbomber. Sie sanken sehr schnell, es gab nur wenige Überlebende, auch viele der Fürstengruber Häftlinge ertranken. Wer sich an das Ufer der Holsteiner Bucht retten konnte, war immer noch nicht in Sicherheit: Viele Häftlinge wurden von der SS-Leuten, die sie dort erwarteten, erschossen: Eines der vielen Kriegsverbrechen, das nie gesühnt wurde.

Max Schmidt tauchte nach dem Krieg erst einmal unter, um nach einigen Jahren wieder nach Sarau zurück zu kehren. Seine Anwesenheit wurde von der Dorfgemeinschaft nie in Frage gestellt. Von Schuld wollte hier niemand etwas wissen, weder von der eigenen, noch von der Max Schmidt’s. Stattdessen beklagten Einwohner Saraus die „Repressalien“ durch die Besatzungsmacht, die sie bei deren Suche nach Schmidt zu erleiden hatten. Gegen Schmidt wurde seit 1962 ermittelt, aber es kam nie zur Anklageerhebung.

Die Ruhe in Sarau wurde erst gestört, als der Historiker Gerhard Hoch in den achtziger Jahren begann, die Geschichte der Fürstenberger Häftlinge zu erforschen. Seine Arbeit stieß überall auf Widerstand, ob in der Schule, wo man ihm die Herausgabe der Schulchronik verweigerte, ob bei der evangelischen Kirche oder auch bei der örtlichen SPD.  Eine Jugendgruppe, die sich mit der Geschichte der Konzentrationslager in der Umgebung, beschäftigen wollte,  versuchte ganz naiv den Hof von Schmidt zu besuchen, um ihn zu befragen. Die Folge: Mehrere schmerzhafte Bisse des Hofhundes.  Die Hofbewohner hatten keine Scheu, ihn auf die Jugendlichen zu hetzen.

Seitdem ist viel geschehen – sehr zur Genugtuung von Gerhard Hoch. 1999 entstand das „Wegzeichenprojekt“. In einem Sommerlager gestalteten Jugendliche zwölf Stelen, die Stationen des letzten Todesmarsches markieren. Jedes Jahr finden seitdem Sommerlager statt. Die Jugendarbeit wird ständig ausgebaut. Und gerade hat die Gedenkstätte Ahrensbök, die sich mit der Geschichte dieses Todesmarsches beschäftigt, Bundesmittel für notwendige Sanierungsarbeiten erhalten.

Doch unter den Alten in Sarau herrscht immer noch Schweigen.