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21. April 1945: Von Sachsenhausen in den Belower Wald

Mahnmal im Belower Wald
Mahnmal im Belower Wald 

„Wir ernährten uns von Gras, Kräutern und sogar von Baumrinde.“

Es war am 21. April 1945, als  30 000 Häftlinge das Konzentrationslager Sachsenhausen verließen und von ihren SS-Bewachern Richtung Nordwesten getrieben wurden, unter ihnen waren auch viele Frauen, die zuvor aus dem Lager Ravensbrück gekommen waren. Man trieb alle in einen schmalen Korridor zwischen Ostfront und den Westalliierten, um die Häftlinge nach Schleswig-Holstein und von dort über die Ostsee zu bringen. Viele von ihnen  waren erst Tage zuvor aus anderen Lagern in Sachsenhausen angelangt. Am 22. April wurden etwa 3 000 Häftlinge, die man in Sachsenhausen zurück geblieben waren, befreit. Die SS hatte sich buchstäblich bis zur letzten Minute Zeit gelassen: „In der Nacht vernahmen wir von weit her zum ersten Mal den Geschützdonner der Front. Es hörte sich an wie das Grollen eines fernen Gewitters.“ Aber die Hoffnung auf Befreiung erfüllte sich für Wolfgang Szepaniak und seine Kameraden noch nicht.

An diesem 21. April rückten die Häftlinge in Kolonnen zu je fünfhundert Menschen aus. Es war ein nasskalter Tag und die Häftlinge waren vollkommen unzureichend gekleidet. Die ersten erhielten noch etwas Verpflegung, die letzten gingen leer aus. 14 bis 20 Kilometer am Tag schleppten sich die geschwächten Menschen dahin. Wer nicht mithalten konnte, wurde erschossen, wie auf allen anderen Todesmärschen auch. „Wir dachten ständig, sie würden uns umbringen“, berichtet Henry Schwarzbaum, der ursprünglich in Auschwitz inhaftiert war. Außerdem wurden die Kolonnen immer wieder  von Tieffliegern beschossen. 
 Vom 23. bis 28 . April wurde ein Großteil der Häftlinge im Belower Wald nahe von Wittstock konzentriert. Die SS fand zum Teil Unterschlupf in nahe gelegenen Bauernhäusern, die Häftlinge aber wurden  provisorisch mit Stacheldrahtzaun eingeschlossen, bewacht von einer Postenkette. Sie bauten sich provisorische Unterstände oder suchten in Erdlöchern Schutz und versuchten sich von Gras, Kräutern, ja sogar von Baumrinde zu ernähren.

„Wir bauten aus dem spärlichen Unterholz des Waldes Schutzdächer und sammelten Laub und Tannennadeln für eine Lagerstatt. Nachdem wir uns eingerichtet hatten, jagte uns die SS jedoch in das angrenzende viel dürftigere Waldstück. Wir hatten unsere Ruheplätze für die SS gebaut. Neue Laubhütten wurden mühevoll errichtet. Lagerfeuer blinkten auf und wurden sofort wieder verboten. Als das Verbot missachtet wurde, wurden auf Befehl des Lagerkommandanten Kolb zwei Häftlinge erhängt.“ So erinnert sich Wolfgang Szepaniak.

Noch heute finden sich im Belower Wald an den Bäumen überall Spuren, wo die Häftlinge ihre Namen in die Rinde geritzt hatten, um ein letztes Zeugnis von sich abzulegen, denn inzwischen glaubten viele von ihnen nicht mehr daran, dass sie die Befreiung noch erleben würden.  Nach einer einzigen Nacht zählten sie 228 Tote, die vor Erschöpfung gestorben waren. Am 29. April verließen die Häftlinge das Waldlager und wurden weiter Richtung Nordwesten getrieben. Die Lage wurde immer chaotischer, die Kolonnen lösten sich auf, weil  ihre SS-Bewacher flüchteten um sich in Sicherheit zu bringen.

Doch die Freiheit der Häftlinge war trügerisch: Noch am 3. Mai  wurden im Dorf Zapel-Ausbau 25 Häftlinge erschossen, die zuvor sogar Hilfe von der Bevölkerung erhalten hatten. Die Täter gehörten nicht zu ihren ehemaligen Bewachern. Wer dieses letzte Verbrechen begangen hat, ist bis heute nicht aufgeklärt. 1981 wurde ein Todesmarsch-Museum als Außenstelle der Gedenkstätte Sachsenhausen eingerichtet. Es steht auf dem Platz, wo sich zuvor das Hirtenhaus, die Unterkunft des Kommandanten Kolb, befand.

Es ist das einzige Museum in Europa, das sich diesem Thema widmet. Bisher war allerdings nur die alte Ausstellung aus  DDR-Zeiten zu sehen, die Aussagen von Zeitzeugen mit politischen Kommentaren vermischte. Das soll sich nun ändern. Seit Mitte April dieses Jahres ist das Museum geschlossen. Es soll vollkommen umgebaut werden. Stärker als bisher sollen die einstigen Opfer und ihre Schicksale in den Mittelpunkt gestellt werden. Die Spuren an den Bäumen müssen dringend konserviert werden. Außerdem hat man Überreste der Habseligkeiten der Häftlinge sicherstellen können, die dort zurückblieben, als diese überstürzt den Wald verlassen mussten. Auch sie sollen in die Ausstellung miteinbezogen werden. Die Gedenkstätte soll Platz für Workshops und pädagogische Arbeit bieten. Die Ausstellung selbst wird an den originalen Schauplatz nach draußen verlegt.

1992 wurde die Gedenkstätte durch einen neonazistischen Anschlag zum Teil zerstört. Auch 2008 fand ein Anschlag auf die Gebäude statt. Das Todesmarschmuseum ist die einzige NS-Gedenkstätte in einer Region, in der die NPD und andere rechtsextremistische Vereinigungen großen Zulauf von Jugendlichen genießen: Sie haben deshalb so großen Erfolg, weil es kaum andere Angebote für Jugendliche vor Ort gibt. Die soll die Gedenkstätte einmal anbieten.  Eine große Aufgabe also für eine so kleine Einrichtung.