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Pressespiegel des Internationalen Auschwitz Komitees

09.04.2020

Selbstverzwergung der EU: Gastkommentar des IAK in der taz

 
 

 

 

 

Seit langem verfolgen Überlebende des Holocaust in Ungarn und in anderen Ländern Europas die politischen Entwicklungen um Viktor Orban mit Entsetzen und Empörung. Die permanente Destabilisierung der Demokratie in Ungarn und das Vergiften des gesellschaftlichen Klimas durch offenes propagandistisches Taktieren mit alten antisemitischen und rassistischen Klischees erinnert die Überlebenden an historische Entwicklungen, die sie mit ihren Familien schon einmal am eigenen Leib erlitten haben.

Vor wenigen Wochen erst mussten sie fassungslos beobachten, wie die Werke des jüdisch-ungarischen Nobelpreisträgers und Auschwitz-Überlebenden Imre Kertesz aus den Schulbüchern entfernt wurden. Erneut hat jetzt der ungarische Ministerpräsident Europa eine schallende Ohrfeige verpasst und die Brüsseler Institutionen als zahnlose Tiger der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Selbstentmachtung des Parlaments, die Orban gerade mit der Zweidrittelmehrheit seiner Partei auf den Weg gebracht hat, macht ihn zu einem Herrscher, den die europäischen Demokratien in ihren Reihen gar nicht mehr für möglich gehalten hatten.

Jetzt rächt sich, dass Europa über viele Jahre dem Treiben Orbans zugesehen und keine Wege gefunden hat, ihn mit empfindlichen Sanktionen zu belegen. Für Auschwitz-Überlebende nicht nur in Ungarn war Europa in den letzten Jahrzehnten eine Institution, die – auch als Reaktion auf die Schrecken von Auschwitz entstanden – vor allem dafür Sorge tragen würde, dass sich Demokratien in Europa gegenseitig stabilisierten und die Rechte und Regeln der Demokratie in allen Mitgliedsländern gewahrt werden würden: Keiner würde in Europa alleine gelassen werden, wenn Politiker vor der heimischen Haustür versuchten, Hand an die Wurzeln der Demokratie zu legen und Hetze und Hohn zum Grundton ihrer Politik machen würden.
 
Gerade deshalb ist in diesen Tagen die Selbstverzwergung Europas besonders tragisch und gerade deshalb warten jetzt Überlebende des Holocaust auf eine europäische Antwort  an die ungarische Adresse. Es wäre für uns alle fatal, wenn aus den Corona-Dunkelheiten ein Europa auftauchen würde, das demokratische Prinzipen leichtfertig geopfert hat.


Christoph Heubner
Exekutiv-Vizepräsident des IAK