Nachdenken und sich erinnern werden Viele bei der Nachricht von Tadeusz Sobolewiczs Tod.
Er starb am 28. Oktober 2015 in Krakau.
An dem Tag reiste eine Studiengruppe der Lagergemeinschaft Auschwitz nach Besuchen in Auschwitz und an Orten jüdischen Lebens in Krakau wieder nach Hause.
Zum ersten Mal in der Geschichte der Studienfahrten der Lagergemeinschaft Auschwitz hatte sie kein Treffen mit dem Klub der Überlebenden von Auschwitz in Krakau vereinbaren können. Die Vorbereitungsphase war zu kurz, die Gesprächspartner nicht mehr in der Lage, sich auf den Weg in die ul. Dietla 16 zu machen - zur Ambulanz für die Überlebenden und vom Holocaust traumatisierten Menschen in Krakau.
Tadeusz Sobolewicz war fast immer dabei, wenn sich eine Studiengruppe der Lagergemeinschaft mit Auschwitz-Überlebenden traf. Viele Jahre hat er die monatlichen Treffen der Überlebenden von Auschwitz besucht. Diese Gemeinschaft war für viele wie eine Familie. Hier arbeitete er lange aktiv mit, um den Überlebenden zu helfen und sie zu unterstützen bei der Bewältigung des Lebens.
Tadeusz Sobolewicz, 1924 geboren als Sohn eines polnischen Offiziers, wurde 1941 in Tschenstochau verhaftet und nach Auschwitz verschleppt – als 17jähriger Widerstandskämpfer gegen die deutschen Okkupanten. Den Decknamen Tadeusz Sobolewicz aus der Untergrundzeit hat er nach dem Krieg als Namen beibehalten.
Er hatte viele Freunde in Deutschland. Etliche Mitglieder unserer „Lagergemeinschaft Auschwitz“ waren mit ihm persönlich befreundet. Damals waren die Gruppenreisen nach Auschwitz Reisen zu Freunden in Polen. Er war einer der Freunde.
Freundschaften waren ihm außerordentlich wichtig. Denn in den Lagern hatte er erlebt, dass Freundschaft und Kameradschaft überlebenswichtig waren. Beides hatte er erfahren und lebte es nach der Befreiung weiter.
Tadeusz Sobolewicz lernte ich kennen während der ersten von mir begleiteten Studienfahrt nach Auschwitz: Er berichtete in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Oswiecim eindringlich darüber, was er in Auschwitz erlitten hatte. Am folgenden Tag, einem Sonntag, ging er mit uns durchs Stammlager und erzählte an den verschiedenen Stellen, was er gesehen, erlitten oder gehört hatte über das, was dort geschehen war. Dieser Gang durchs Stammlager hat sich eingeprägt.
Nach fast zwei Jahren Festsetzung im Stammlager Auschwitz wurde er nach Buchenwald verschleppt. Nach etlichen weiteren Stationen als Zwangsarbeiter konnte er bei Regensburg von einem Todesmarsch fliehen und wurde in einem Unterschlupf bei Bauern von amerikanischen Truppen befreit.
In Polen wurde er ein bekannter Schauspieler. Viele Jahre traf er sich vor allem mit Jugendgruppen in Auschwitz. Die Internationale Jugendbegegnungsstätte in Oswiecim war dabei für ihn wie eine zweite Heimat. Er erzählte von der Vergangenheit und rief dabei immer wieder auf, sich Hass und Gewalt entgegenzustellen. Der Ruf „Nie wieder Krieg“ bildete einen Grundton seiner Vorträge und Gespräche. Dazu reiste er oft nach Deutschland, um hier zu berichten und zu werben für Frieden, Verständigung und für Europa.
Lang ist die Reihe der in letzter Zeit verstorbenen Überlebenden der Lager – viel länger wird sie nicht mehr werden. Wir werden allein sein – aber haben die Pflicht, ihre Arbeit fortzusetzen, ihre Botschaft zu vermitteln.
Der Appell „Fragt uns, wir sind die Letzten“ ist fast nicht mehr zu hören. Jetzt müssen wir uns daran machen, die Berichte, die wir gehört haben, weiterzutragen. Mit Emotion und Wahrheitsliebe. Denn nur dadurch wird das, was heute als „Narrativ“ bezeichnet wird, glaubwürdig sein – und wirksam.
Tadeusz Sobolewicz fügte seinen Unterschriften und Widmungen oft seine Häftlingsnummer aus Auschwitz - 23053 - an. Hier jedoch soll am Ende sein Name stehen, an den wir uns erinnern: Tadeusz Sobolewicz
Uwe Hartwig