Rede der Präsidentin des Internationalen Auschwitz Komitees), Dr. Eva Umlauf, bei der Verleihung des Fritz Bauer Studienpreises für Menschenrechte und juristische Zeitgeschichte 2025 am 1. Juli 2025 im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV):
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Schmierer,
sehr geehrter Preisträger Dr. Kolkilic,
sehr geehrte Damen und Herren!
Die Täter waren zu ihren Familien zurückgekehrt, nahmen Berufe auf, Gerichte sorgten sich nur in Ausnahmefällen um deren Verbleib und in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft der fünfziger Jahre erhob sich schon damals der Ruf, der uns Überlebende der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager seitdem mehr oder weniger laut durch die Jahre unseres Überlebens begleitet: Nun müsse doch endlich mal Schluss sein!
Nur wenige erinnern sich heute noch des dumpfen Schweigens jener Jahre, in denen uns, den Überlebenden, jeder Tag und jede Stunde zu sagen schien: Verhalte dich ruhig, fall nicht auf, noch ist nichts entschieden. Und, vergessen wir es nicht, es waren die Jahre in denen die ehemaligen Täter, die Mitläufer und die Gleichgültigen auf vielen Stühlen saßen: In der Politik, in der Justiz, in den Zeitungsredaktionen und in den Amtsstuben der geschenkten Demokratie.
In jener Zeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, war es ein Mann, der von Frankfurt her für uns Überlebende die Stimme der Gerechtigkeit und der Erinnerung verkörperte. Seinen mutigen Kampf um die Verfolgung der NS-Täter und seine Zusammenarbeit mit Auschwitz - Überlebenden wie Hermann Langbein verfolgtem wir mit bangem Herzen. Wir ahnten, wie alleine dieser Mann sein musste, weil wir wussten, wie alleine wir auf dieser Welt waren. Fritz Bauer war für uns damals ein Garant dafür, dass die Gerechtigkeit kein Verfallsdatum kennt und dass wir mit all unseren Kräften und Möglichkeiten seinen Kampf - auch hinsichtlich der Frankfurter Auschwitz-Prozesse trotz all unserer Ängste und Schmerzen unterstützen mussten.
Und deshalb, sehr geehrte Frau Staatssekretärin, ist es mir, ist es allen Überlebenden von Auschwitz, immer eine Ehre und Verpflichtung, dort präsent zu sein, wo Fritz Bauers gedacht, wo er durch die Nennung seines Namens geehrt und erinnert wird: Seine Haltung und seine Arbeit haben der Bundesrepublik Deutschland überhaupt erst wieder Glaubwürdigkeit verschafft und ihr ein großes Stück Würde zurückgegeben: Davon zehren wir alle noch heute.
Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist das Eine: Der Fritz Bauer Preis ist der lebendige Ausdruck einer gefestigten Demokratie und einer Justiz, die sich der Erinnerung an Fritz Bauer und den Werten, die er als Jurist und Gezeichneter verkörperte, verpflichtet fühlt. Aber bei dieser Preisverleihung muss von einer Auschwitz-Überlebenden und der Präsidentin des Internationalen Auschwitz Komitees auch das Andere erwähnt werden: Unsere Demokratie und viele andere Demokratien in Europa sind unter Druck wie noch nie zuvor. Rechtsextreme und Nazi-Ideologen delegitimieren gänzlich ungehindert diese Demokratie. Sie infiltrieren immer jüngere Menschen mit ihrem Hass und ihrem Zynismus und sie sind strategisch bestens vernetzt. Wie gut vernetzt sie sind und wie erfolgreich sie mit altbekannten Parolen Menschen für sich gewinnen, zeigen die Wahlerfolge einer Partei, die mit allem, was sie plant, tut und propagiert gegen die Verfassung unseres Landes arbeitet und die Politik, die Presse und die Justiz immer wieder als unfrei und gelenkt diffamiert.
Glauben Sie mir, meine Damen und Herren, wir verfolgen diese Entwicklungen im Blick auf Deutschland, voller Angst und als bizarres Deja-Vu Erlebnis. Schon 2014 hat die Auschwitz-Überlebende Renate Lasker-Harpprecht in einem Interview mit der „Zeit“ drastisch formuliert: „Es stinkt mir gewaltig, dass die Rechten überall in Europa auf dem Vormarsch sind. Hat die Welt denn nichts aus Auschwitz gelernt?“ Was würde Renate Lasker-Harpprecht heute, elf Jahre später, sagen?
Und, ja, meine Damen und Herren, es empört und zerreißt uns tief innerlich, wenn heute Schüler aus Deutschland in Auschwitz auf der Asche unserer ermordeten jüdischen Familien stehen und den White -power- oder den Hitlergruß zeigen: Was hat die Welt, was hat Deutschland gelernt? Wie und wann wehrt sich die Demokratie?
Verzeihen Sie, verehrte Anwesende, wenn ich Sie bei diesem festlichen Anlass mit den Sorgen einer Überlebenden von Auschwitz konfrontiere. Von uns sind nur noch sehr wenige geblieben. Aber verlassen Sie Sich darauf, das Internationale Auschwitz Komitee wird weiterhin seine Stimme erheben -gemeinsam mit Ihnen. Ich gratuliere dem Preisträger: Wir brauchen die Wahrheit der historischen Forschung, wir brauchen ihr Engagement: Wir hoffen auf Sie! Ich danke Ihnen.
Link zur Aufzeichnung der Preisverleihung vom 1. Juli 2025
Link zur Rede der Staatssekretärin im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (in Vertretung der Ministerin), Eva Schmierer, bei der Verleihung des Fritz Bauer Studienpreises für Menschenrechte und juristische Zeitgeschichte 2025 am 1. Juli 2025 im BMJV.