"Zeigen, was ist": Das "B" in der documenta-Stadt
Symbol des Widerstandes und der Ermutigung
Die Stadt Kassel pflegt ganz klare Präferenzen: Für die Dauer der weltgrößten Kunstausstellung "gehört" das gesamte Stadtgebiet ausschließlich der documenta und ihren Kunstwerken. Für das Internationale Auschwitz Komitee gestattete die Verwaltung in diesem Jahr die große Ausnahme. Am 12. Juni, dem Geburtstag von Anne Frank, wurde auf der Treppenstraße in Kassel die Erinnerungsskulptur des „B“ installiert, der umgedrehte Buchstabe aus der zynischen Lagerinschrift „ARBEIT MACHT FREI“ über dem Eingangstor in Auschwitz.
Vor rund 150 Gästen betonte Stadtrat Hajo Schuy in einer berührenden und emotionalen Rede, dass sich die Stadt nach reiflicher Überlegung dafür entschieden habe, die Statue an zentraler Stelle im Innenstadtbereich aufstellen zu lassen. Zu wichtig sei ihnen das Anliegen der Überlebenden gewesen, das mit dem Hintergrund der Betroffenen und der Botschaft der Statue verbunden sei.
Unter den Gästen der Feierstunde waren die italienische Auschwitz-Überlebende Albina Moimas, die französische Künstlerin Michèle Déodat, nach deren Vorstellungen die Skulptur geschaffen wurde, und der polnische Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees und Auschwitz-Überlebende Marian Turski. Er erläuterte in seiner Rede zur Eröffnung, wie wichtig diese Botschaft eines einzigen heimlich umgedrehten Buchstabens für die Häftlinge im Lageralltag als Symbol des Widerstandes und der Ermutigung im Kleinen gewesen sei. Er dankte Michèle Déodat, dass sie den Auschwitz-Überlebenden und der weltweiten Öffentlichkeit erneut die Bedeutung des „B“ und seiner Botschaft in der heutigen Zeit vor Augen geführt habe.
Auszubildende von Audi und der Volkswagen AG aus Kassel, Wolfsburg und Ingolstadt zeigten gemeinsam mit polnischen Berufsschülern aus Bielsko-Biala eine Performance, die an die aus Kassel stammende Auschwitz-Überlebende Rosa Ehrlich-Goldstein und an Anne Frank erinnerte, die 1929 in Frankfurt geboren worden war: „Wir erinnern. Gegen den Hass. Gegen den Antisemitismus. Gegen die Angst. Und für die Hoffnung!“
Die Statue „B“ findet innerhalb der documenta 14 zahlreiche andere Kunstwerke, die an die Schrecken und die Lehren des Holocaust erinnern. Verstörend der Rauch, den der Schweizer Künstler Daniel Knorr aus einem Turm des nahen Fridericianum aufsteigen lässt und der für ihn auch Assoziationen an den Rauch über Birkenau und anderen Vernichtungslagern beinhaltet. Ebenfalls nur wenige hundert Meter vom Standort der Statue des Internationalen Auschwitz Komitees wird in der alten Torwache der Stadt Kassel, die zur Erinnerung an die Not der Flüchtlinge vom ghanaischen Künstler Ibrahim Mahama mit Jutesäcken umhüllt wurde, der Entwurf zu einem Auschwitz-Denkmal des schwedischen Architekten Oskar Hansen gezeigt. Er wurde 1959 im Rahmen einer Ausschreibung des Internationalen Auschwitz Komitees von einer Jury unter Leitung des Bildhauers Henry Moore auf den ersten Platz gewählt.
Die Not von Verfolgten und Flüchtlingen greift auch der nigerianische Künstler Olu Oguibe am Kasseler Königsplatz auf: An der Spitze eines sechzehn Meter hohen Obelisken findet sich in verschiedenen Sprachen das Bibel-Zitat „Ich war ein Fremdling, und ihr habt mich beherbergt.“ Am Ende der Treppenstraße auf dem Friedrichsplatz schließlich hat die argentinische Künstlerin Marta Minujín in Originalgröße ihr „Parthenon der verbotenen Bücher“ errichten lassen, das an die in vielen Ländern gängige Verfolgung von Schriftstellern und das Verbot ihrer Bücher erinnert und zu dessen Errichtung auch das Internationale Auschwitz Komitee Bücher beigesteuert hat.
Und so spiegelt und ergänzt die Statue „B“ mit ihrer zentralen Botschaft der Überlebenden von Auschwitz auch die Intentionen vieler in Kassel ausgestellter Künstler: „Remember: Wenn Unrecht geschieht, wenn Menschen diskriminiert und verfolgt werden – bleibt nicht gleichgültig. Gleichgültigkeit tötet.“