dpa-Interview mit Christoph Heubner
Holocaust-Opfer warnen vor Verharmlosung und Vergessen
Von Eva Krafczyk
Warschau. (dpa) Nicht nur Holocaust-Leugner und offener Antisemitismus belasten Überlebende von Auschwitz und anderen nationalsozialistischen Todeslagern. Auch die Verharmlosung des Geschehens sowie die Bagatellisierung antijüdischer Witze sorgen 69 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz für Bitterkeit, sagt Christoph Heubner, Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitee, einer Organisation der Überlebenden.
Vor 69 Jahren befreiten Soldaten der Roten Armee Auschwitz, in diesem Jahr kommen mehr als die Hälfte der Mitglieder des israelischen Parlaments nach Auschwitz, um am Holocaust-Gedenktag der Toten zu gedenken. Wie empfinden die Überlebenden den öffentlichen Umgang mit ihrem Schicksal?
Viele Überlebende des Holocaust empfinden in diesen Tagen die Alltagswelt, die sie umgibt, als zunehmend vergesslich, als kalt und potenziell ablehnend ihnen gegenüber. Die Überlebenden beobachten mit Zorn und Traurigkeit, wie die Ermordung ihrer Angehörigen plötzlich sprachlich als «sterben» verharmlost wird. Sie beobachten, wie im internationalen Sprachgebrauch aus deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern «polnische» Todeslager werden, nur weil die Tatorte und die Gedenkstätten sich auf polnischem Boden befinden. Und sie beobachten in Deutschland eine Entwicklung, in der man trotzig darauf besteht, man sei doch eigentlich auch Opfer gewesen und man habe viel zu lange nicht darüber reden dürfen.
Antisemitismus endete nicht mit der Befreiung von Auschwitz und dem Zusammenbruch Nazi-Deutschlands. Wo sehen die Überlebenden heute die Gefahren?
Die in vielen Ländern Europas mittlerweile lauter und impertinenter gepflegte Überzeugung, Juden steckten hinter den Bankenkrisen ist ein Beleg dafür, dass der Antisemitismus jederzeit aktualisierbar ist. Aber auch die penetrante, antisemitische Gehässigkeit eines französischen Komikers beleidigt und verletzt die Überlebenden zutiefst. Die Überlebenden empfinden dies als Empathieverlust Ihnen und ihren ermordeten Angehörigen gegenüber. Die Schmerzgrenze wird täglich überschritten und das ist in vielen Ländern alltäglich geworden. Dazu gehört auch dreiste Behauptung, die Überlebenden des Holocaust hätten nun wohl endlich genug Geld aus Deutschland herausgepresst und es müsse mal Schluss sein. Das meinten viele Menschen in Deutschland übrigens schon 1963 - bevor der erste Auschwitz-Prozess in Frankfurt überhaupt begonnen hatte.
Apropos Auschwitz-Prozess - noch immer wird nach NS-Tätern gefahndet. Doch selbst wenn die ausfindig gemacht werden, können sie aufgrund ihres hohe Alters oft nicht mehr vor Gericht gestellt werden oder erleben das Urteil nicht mehr. Was bedeutet das für die Holocaust-Überlebenden, die mit den Erinnerungen an ermordete Angehörige und das eigene Leid leben müssen?
Die Tatsache, dass viele Täter von Auschwitz ein freies und unbeschwertes Leben geführt und noch nie einen Gerichtssaal von innen gesehen haben, ist für die Überlebenden empörend. Dennoch hoffen sie, dass bekannte Täter nun endlich in Deutschland vor Gericht gestellt werden. Für sie ist das die Hoffnung auf wenigstens späte Gerechtigkeit.
Gibt es trotzdem Ereignisse, die die Überlebenden mit Hoffnung erfüllen?
Viele Begegnungen mit jungen Menschen - nicht nur in Deutschland - sind für die Überlebenden ein großes Hoffnungszeichen. Das Interesse der jungen Leute und die Sensibilität, mit der sie auf die Berichte der Überlebenden reagieren, ist für sie sehr wichtig. Europa ist für die Überlebenden eine Hoffnung, die auf der Asche von Auschwitz entstanden ist: Toleranz und Demokratie, die die Bürger Europas gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus verteidigen - darauf bauen sie noch immer. Und ganz konkret: Sehr motiviert hat sie der Besuch des Generalsekretärs der Vereinten Nationen in der Gedenkstätte Auschwitz im November des Vorjahres. Ban Ki-Moon hat ihnen versichert, dass ihr Schicksal im Fokus der Weltöffentlichkeit bleibt. Das zeigt jetzt auch der Besuch der Knesset Abgeordneten und von Parlamentarierdelegationen aus vielen Ländern.
Das Interview wurde am 27.1.2014 veröffentlicht.