Wieder beklagen Auschwitz-Überlebende in aller Welt mit Wehmut und Trauer den Tod einer ihrer Weggefährtinnen, der Zeitzeugin und lebensklugen Freundin und Leidensgenossin Dorota Flug, die am 1. Mai, im Alter von 94 Jahren, wenige Tage vor dem weltweiten Gedenktag zum 8. Mai 1945, in Jerusalem gestorben ist. Die Menschen in Deutschland haben ihr gerade in diesen Gedenktagen zum 8. Mai viel zu verdanken.
Dorota Flug wurde 1925 im polnischen Lodz als Dorota Tugendreich in einer jüdischen Familie geboren. Sie überlebte das Lodzer Ghetto, das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz, das Lager Bergen-Belsen und andere Lager. Sie war 19 Jahre alt als sie am 14. April 1945 gemeinsam mit ihrer Mutter in Salzwedel befreit wurde und nach Polen zurückkehrte. Sie heiratete ihren Jugendfreund Noah (Henryk) Flug, den sie im Ghetto in Lodz kennengelernt hatte und mit dem sie gemeinsam in einer kommunistischen Untergrundorganisation Jugendlicher im Ghetto aktiv gewesen war.
Auch Noah Flug war später Häftling in Auschwitz und war am 6. Mai 1945 von amerikanischen Truppen im Lager Ebensee in Österreich befreit worden. Beide lebten bis 1958 in Lodz und in Warschau, wo sie ihren Schulabschluss nachholten und studierten. Geprägt von den Bildern ihrer Erinnerung und dem Leid der Kinder in Auschwitz ließ sich Dorota Flug als Kinderärztin ausbilden. 1958 zogen sie angesichts wachsender antisemitischer Stimmungen von Polen nach Israel um, wo Noah Flug als Wirtschaftswissenschaftler für den diplomatischen Dienst vorbereitet wurde. Trotz anfänglicher Bedenken angesichts ihrer Erfahrungen mit den Deutschen begleitete Dorota Flug ihren Ehemann, als er im Rahmen seiner Tätigkeit als israelischer Diplomat Mitte der 80er Jahre nach Deutschland versetzt wurde. Sie bestand aber auf ihrer beruflichen Unabhängigkeit und war während seiner diplomatischen Auslandsdienste als engagierte und anerkannte Kinderärztin in schweizerischen und deutschen Krankenhäusern tätig.
Schon im Ruhestand engagierte sich Dorota Flug gemeinsam mit ihrem Mann Noah, dem langjährigen Präsidenten des Internationalen Auschwitz Komitees, unermüdlich für die Entschädigung und medizinische Versorgung aller Überlebenden der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager. Die Beharrlichkeit, die Kreativität und die Menschenliebe mit der Dorota und Noah Flug die Interessen der Überlebenden in aller Welt vertraten und vom Leid und den späten Schmerzen ihrer ehemaligen Mithäftlinge berichteten, waren legendär und nötigten nicht nur Menschen in Deutschland Anerkennung, Respekt und Zuneigung ab. Den immer wieder aufflammenden aggressiven Antisemitismus und den Hass des Rechtsextremismus in vielen Ländern dieser Welt verfolgte Dorota Flug mit Bitterkeit und Empörung.
Die zwei Töchter des Ehepaares Flug, Anat und Karnit Flug, leben heute in Jerusalem: Anat ist als Psychotherapeutin tätig, Karnit war bis zu ihrem Ruhestand Präsidentin der israelischen Nationalbank. Zwei Enkelkinder von Dorota und Noah Flug leben in Berlin.
Zum Tod von Dorota Flug betonte in Berlin Christoph Heubner, der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees:
"Gemeinsam mit ihrem Mann Noah, dem langjährigen Präsidenten des Internationalen Auschwitz Komitees, war Dorota Flug vielen Menschen in Deutschland freundschaftlich verbunden. Beide hofften darauf, dass die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus und das Wissen um die eigene Mitverantwortung auf Dauer in den Köpfen und Herzen der Deutschen verankert sein würde. Als engagierte und lebenskluge Beobachter der politischen Verhältnisse in Deutschland vertrauten Dorota und Noah Flug darauf, dass die Menschen in Deutschland aus diesem Wissen um die eigene Verantwortung ein realistisches und dankbares Bewusstsein auch ihrer Befreiung entwickeln würden. Das Leben von Dorota Flug war von Verfolgung, Mut, Klugheit, Menschenkenntnis und Menschenliebe geprägt: Die Deutschen haben dieser klugen Botschafterin der Erinnerung und ihrer ausgestreckten Hand viel zu verdanken."