Vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union zur Situation der Flüchtlinge in Europa am morgigen Mittwoch (23.9.2015) in Brüssel hat sich das Internationale Auschwitz Komitee mit einer Botschaft an die teilnehmenden Politikerinnen und Politiker gewandt:
"Wir, Auschwitz-Überlebende aus Polen, Ungarn, Deutschland, Tschechien und Frankreich, haben in Auschwitz – in tiefster Verzweiflung und immer am Rande des Todes – auf Europa gewartet und auf Europa gehofft.
Heute steht Europa erneut vor einer fundamentalen Herausforderung. Menschen suchen bei uns Schutz, Hilfe und Zukunft für sich und ihre Familien. Sie nehmen Gefahren auf sich, um nach Europa zu gelangen. Dies alles erinnert uns an unsere damalige Verzweiflung.
Heute sehen wir in Europa angesichts der derzeitigen Herausforderung Menschen voller Hilfsbereitschaft, aber auch Menschen voller Angst und Menschen voller Hass. Wir sehen aggressiv an die Grenzen gerammte Zäune, verzerrte Gesichter, brennende Häuser und blanken Egoismus. Würdelose Bilder, die in Europas bittere Vergangenheit weisen und nichts offenbaren als Schwäche und Hilflosigkeit.
Deshalb wenden wir uns heute an Sie, die Europas Staaten lenken und repräsentieren. Wir bitten Sie, den Ängsten Ihrer Bürger ruhig, mit Aufklärung und mit Hoffnung zu begegnen. Sie müssen jetzt Europas Erinnerungsvermögen und Europas Würde durch Ihre gemeinsamen Beschlüsse deutlich werden lassen. Es ist keine Zeit mehr für nationale Egoismen und wahltaktische Rücksichten. Hierzu ist die Situation der betroffenen Menschen, aber auch die Herausforderung an Europas Glaubwürdigkeit zu ernst.
Vor allen Dingen aber bitten wir Sie, populistische und rechtsextreme Kräfte in Europa, die die Grauzone zwischen Angst und Hass für ihre zerstörerischen Aktivitäten nutzen, wehrhaft und konsequent in ihre Schranken zu weisen. Mit ihrem Haß bekämpfen diese Gruppierungen alles, was Europa ausmacht:
Vielfalt, Toleranz und Mitgefühl.
Sie als Verantwortliche sollen und dürfen die Bürger Europas auch in ihre demokratische Pflicht nehmen. Viele Menschen haben ihre Bereitschaft hierzu durch ihre spontane Hilfe längst deutlich gemacht. Auch heute gilt, was Simone Veil , die Auschwitz-Überlebende und erste Präsidentin des Europäischen Parlaments, 2004 formulierte: „Europa ist es sich schuldig, ein Vorbild für Demokratie und die Achtung der Menschenrechte zu sein.“
Gerade am Tag Ihres Treffens auf höchster europäischer Ebene fallen das jüdische Versöhnungsfest Jom Kippur als höchster jüdischer Feiertag und das islamische Opferfest als höchster Feiertag der muslimischen Welt zusammen. Wir wünschen Ihnen für Ihre Entscheidungen Weisheit und den Segen des einen Gottes."