Quelle: Frankfurter Neue Presse
Vor 70 Jahren erhoben sich die Häftlinge des deutschen Vernichtungslagers Sobibor gegen ihre Mörder. Archäologen suchen in dem einstigen Todeslager bis heute nach Spuren.
Warschau/Sobibor.
Die Bäume haben über Massengräbern und Gaskammern Wurzeln geschlagen. Wenn sich in Auschwitz vor allem in den Sommermonaten Touristengruppen drängen, herrscht im ehemaligen deutschen Vernichtungslager Sobibor Stille. Höchstens Vogelgezwitscher unterbricht die Ruhe. Touristen kommen nur selten hierher in den Kreis Wlodawa in Ostpolen, kurz vor den Grenzen zu Weißrussland und zur Ukraine.
Als der Massenmord vor 70 Jahren endete, versuchte die SS, die Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen. Das Lager wurde niedergerissen, der Wald nahe der einstigen Bahnstation wieder aufgeforstet. Doch Archäologen aus Polen und Israel haben die Spurensuche aufgenommen. Sobibor soll dem Vergessen entrissen werden – auch mit einer neuen Gedenkstätte.
«Dank der archäologischen Arbeiten wissen wir schon viel mehr über das Lager», sagte der stellvertretende polnische Kulturminister Piotr Zuchowski in einem Interview der Zeitung «Rzeczpospolita» vom Montag. Zum Beispiel den Verlauf der «Himmelfahrtstraße» - so nannte die Lagerleitung die Straße, auf der die Häftlinge zur Ermordung in den Gaskammern von Sobibor entlang zogen. Der Zynismus des Namen erinnert an die Aufschrift «Arbeit macht frei» am Lagertor von Auschwitz.
Mindestens 250 000 Menschen wurden in Sobibor ermordet. Die meisten von ihnen waren polnische Juden. Die übrigen jüdischen Opfer stammten vor allem aus den Niederlanden und der Slowakei.
In diesem Sommer stießen Archäologen auf die Überreste eines Fluchttunnels, den vermutlich Mitglieder des Sonderkommandos gruben – jene Häftlinge, die die Ermordeten verbrennen mussten und am Ende als Zeugen der Nazi-Verbrechen selbst ermordet wurden. Auch weitere Massengräber der Ermordeten kamen zu Tage. «Wir wissen noch immer nicht, wo genau sich die Gaskammern befanden», sagte Zuchowski. «Doch obwohl die Deutschen ihre Spuren verwischten, finden wir 70 Jahre später klare Beweise für ihre Taten.»
Anders als etwa Auschwitz-Birkenau war Sobibor ein reines Vernichtungslager. Wer hier her kam, hatte keinerlei Hoffnung, als Zwangsarbeiter doch noch überleben zu können. Doch angesichts des drohenden Todes wagten einige Häftlinge den Widerstand: Am 14. Oktober 1943 begann in den Nachmittagsstunden der Häftlingsaufstand gegen die SS-Wachmannschaften und ihre Helfer. Knapp 400 Häftlingen gelang zunächst die Flucht, etwa 200 erreichten die rettenden Wälder.
«Der verzweifelte Mut der so lange gedemütigten Häftlinge von Sobibor gehört in die Geschichtsbücher der Welt als eines der großen Beispiele für die Sehnsucht des Menschen nach einem Leben in Würde und ohne Angst», sagt Vizepräsident Christoph Heubner vom Internationalen Auschwitz-Komitee, einer Organisation von Holocaust-Überlebenden.
Die Arbeiten an einer neuen Gedenkstätte in Sobibor sollen im kommenden Jahr beginnen. Sie soll an Leben, Tod und Widerstand der Häftlinge in dem lange vom Vergessen bedrohten Lager erinnern. Das Konzept sollte am Montag nach der Gedenkfeier zum 70. Jahrestag des Häftlingsaufstands vorgestellt werden. Für die Niederländerin Lies Caransa hielt Zuchowski dabei einen Fund der Archäologen bereit: Eine Metallplakette mit dem Namen und Geburtsdatum ihres Bruders David Zak, der im Alter von sieben Jahren in Sobibor ermordet wurde.
Quelle: http://www.fnp.de/nachrichten/kultur/In-Sobibor-weitere-Spuren-der-Nazi-Verbrechen-gefunden;art679,656392