Quelle: www.zeit.de
Die Versöhnungsgeste einer Holocaustüberlebenden im Lüneburger NS-Prozess stößt auf Kritik. Das Auschwitz-Komitee sprach von einer "Personalityshow und Seifenoper".
Das Internationale Auschwitz Komitee hat sich in einer Stellungnahme der Kritik an der Versöhnungsgeste der Holocaustüberlebenden Eva Kor im Prozess gegen den sogenannten Buchhalter von Auschwitz angeschlossen. "Den Tätern Verzeihung zu gewähren, dazu fühlen sich die Überlebenden angesichts deren jahrzehntelangen unbelehrbaren Schweigens nicht in der Lage", sagte Christoph Heubner, Vizeexekutivpräsident der Organisation von Überlebenden. "Sie wissen auch nicht, wie sie im Namen ihrer ermordeten Familien je Verzeihung gewähren könnten."
Die Überlebende Eva Kor hatte dem angeklagten früheren SS-Mann Oskar Gröning die Hand zur Versöhnung gereicht und gesagt: "Ich habe den Nazis vergeben." Später war sie zudem in der Sendung von Günther Jauch aufgetreten. Die anderen Nebenkläger kritisierten das als öffentliche Inszenierung.
Auch Heubner sagte, die öffentliche Vergebung verletze die Integrität der anderen Auschwitz-Überlebenden und würdige den Prozess in Lüneburg "zu einer Personalityshow und Seifenoper" herab. "Es wäre fatal, wenn die deutsche Gesellschaft diese Geste einer Einzelnen als moralischen Freispruch und Abschlusserklärung missverstehen würde."
Die Überlebenden von Auschwitz hätten den Hass überwunden und das Gespräch vor allem mit der jungen Generation von Deutschen gesucht, um vor Intoleranz, Rassismus und Antisemitismus zu warnen. "Die Täter von Auschwitz aber haben geschwiegen. Kein Wort der Wahrheit, der Reue und der Entschuldigung hat die Überlebenden jemals erreicht."
Vor dem Landgericht muss sich der 93 Jahre alte Oskar Gröning wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen während der sogenannten Ungarn-Aktion verantworten. Gröning hatte sich zu Prozessbeginn am vergangenen Dienstag zu seiner moralischen Mitschuld bekannt. Er sagte: "Ich bitte um Vergebung. Über die Frage der strafrechtlichen Schuld müssen Sie entscheiden."
In dem Konzentrationslager im besetzten Polen ließ das NS-Regime im Zweiten Weltkrieg mehr als eine Million Menschen ermorden, die meisten waren Juden.
Prozess als "wichtige Genugtuung"
Am Dienstag werden zwei Überlebende des Konzentrations- und Vernichtungslagers als Zeuginnen zu Wort kommen. Éva Pusztai-Fahidi und Hedy Bohm wurden 1944 von den Nazis mit ihren Familien aus Ungarn nach Auschwitz deportiert.
"Wir Überlebenden sitzen in einem Gericht und er muss sich verteidigen", hatte Pusztai-Fahidi vorab mit Blick auf Gröning gesagt. "Ich muss mich ab und zu zwicken, ob das die Wirklichkeit ist." Sie empfinde den Prozess als wichtige Genugtuung, erklärte die 89-Jährige, die im Alter von 18 Jahren verschleppt worden war. "Ich kann nicht im Namen der Toten verzeihen – ich allein habe 49 Angehörige verloren."
Quelle: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-04/auschwitz-prozess-eva-kor-versoehnung-kritik