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Pressemitteilung des Internationalen Auschwitz Komitees

05.11.2023

Offener Brief zur geplanten Umbenennung der Altmark-Kita "Anne Frank" in Tangerhütte

 
 
Kita „Anne Frank“ in Tangerhütte, Sachsen-Anhalt. Bild KGS/IAK Berlin

Kita „Anne Frank“ in Tangerhütte, Sachsen-Anhalt. Bild KGS/IAK Berlin

 

 

 

Christoph Heubner, Exekutiv Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees während eines Aufenthaltes in Magdeburg anläßlich der Verleihung des Lothar Kreyssig Friedenspreises:

"In der Magdeburger Volksstimme stieß ich auf einen Bericht zur geplanten Umbenennung der Altmark-Kita "Anne Frank" in Tangerhütte. Die dort zu lesenden Argumente und Überlegungen der Beteiligten in Tangerhütte nimmt der unten stehende "Offene Brief" auf. Wenn man die eigene Geschichte gerade in diesen Zeiten von neuem Antisemitismus und Rechtsextremismus so leichtfertig abzuräumen bereit ist und der Name von Anne Frank im öffentlichen Raum als ungeeignet wahrgenommen wird, kann einem im Blick auf die Erinnerungskultur in unserem Lande nur angst und bange werden."


OFFENER BRIEF:

Sehr geehrter Herr Bürgermeister von Tangerhütte, sehr geehrtes Kuratorium und Verantwortliche der Altmark-Kita "Anne Frank"!

Sie sind dabei, sich von Anne Frank zu trennen: Man könne, laut Ihren Aussagen, Kindern nur schwer erklären, was mit Anne Frank und um sie herum geschehen sei. Das sei alles zu schwer und Eltern, die einen Migrationshintergrund hätten, wüßten zudem mit dem Namen "Anne Frank" schon gar nichts anzufangen. Und zukünftig wolle man einen Namen ohne "politischen Hintergrund". Dafür soll der neue Name "Weltentdecker" stehen, der für eine "offenere" Kita gelten soll, in der Begriffe wie 
"Selbstbestimmtheit und Vielfältigkeit" der Kinder eine konzeptionelle Veränderung verdeutlichen würden. Verzeihen Sie bitte, verehrte Bürgerinnen und Bürger von Tangerhütte, aber der Holzweg, auf dem Sie sind, ist mehrere hundert Meter breit und ich habe in meiner langjährigen Begegnung mit Anne Frank und ihrer Geschichte kaum törichtere Argumente gehört, als die ihren: Anne Frank, dieses junge deutsch-jüdische Mädchen, das - im Versteck und voller Todesangst - dennoch selbstbestimmt die Welt entdeckt und in ihrem Tagebuch beschreibt und die auf eine Zukunft hofft, die man ihr und allen anderen jüdischen Kindern und Jugendlichen damals in Deutschland verwehrt. Ja, Sie haben recht, Anne Frank gehört in eine Zeit, in der alle jüdischen Kinder zum Tode verurteilt sind und nie die Chance haben werden, die Welt zu entdecken und ein selbstbestimmtes Leben in einer vielfältigen Welt zu führen. Und eben deswegen ist Anne Frank zu dem großen Menschen und zu einem 
Weltstar geworden: Weil sie weiß, in welcher Mördergrube sie lebt und dennoch immer wieder die Schönheit der Welt beschwört und darauf hofft, dass die Menschen gut zueinander sind. Was bitte ist daran für kleine und große Menschen schwer zu verstehen ................... wenn man es ihnen erzählt und erklärt? Ja, und nun ist alles zu spät: Über Tangerhütte und Sie alle geht angesichts ihrer verschwurbelten Ignoranz ein shit-storm nieder, der sich gewaschen hat und Sie fühlen sich sicherlich 
mißverstanden und ungerecht behandelt. Und einige von Ihnen werden über die Presse schimpfen und über die Menschen, die das öffentlich gemacht und das eigene Nest beschmutzt haben. Und dass man gegen Juden sowieso nichts sagen darf....... und und und. Wenn, werte Bürgerinnen und Bürger in Tangerhütte, ich einen Rat zu erteilen hätte, würde ich Anne Frank raten, zu kämpfen und nicht wortlos und traurig davon zu gehen, wenn sie erneut in ihrer deutschen Heimat davongejagt werden soll.
Vielleicht überdenken Sie das Ganze ja noch einmal?

PS: Gerne übersende ich Ihnen in den nächsten Tagen das Kinderbuch "Lala", das der Auschwitz-Überlebende Roman Kent in der Erinnerung an seine Kindheit im Ghetto von Lodz geschrieben hat und in dem er erzählt, wie der Hund "Lala" seiner Familie heimlich ins Ghetto folgt, wo Hunde strengstens verboten sind. Und Lala den Kindern Mut und Hoffnung macht, dass noch nicht alles in dieser Welt verloren ist. Zeichnungen zu der Erzählunghaben Schülerinnen und Schüler einer Schule für lernbehinderte Kinder inPotsdam gemalt.

Mit freundlichen Grüßen

Christoph Heubner
Exekutiv Vizepräsident
Internationales Auschwitz Komitee

Link zum Video: Der Holocaust-Überlebende Roman Kent erzählt die Geschichte eines Hundes im von den Nazis besetzten Polen, der ihn eine zeitlose Lektion lehrte: dass Liebe stärker ist als Hass.

 

 

 
 
 

Für Rückfragen / for further Information

Christoph Heubner

Exekutiv-Vizepräsident 

Internationales Auschwitz Komitee

Telefon: ++ 49 (030) 26 39 26 81