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Pressespiegel des Internationalen Auschwitz Komitees

06.08.2013

Das umgedrehte B

 
 
Signet Neues Deutschland

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Quelle: Neues Deutschland

 

Mit einer Metallskulptur erinnern VW-Lehrlinge an die Leiden und den Mut der Häftlinge von Auschwitz

Von Ingrid Heinisch



Über dem Eingang der KZ-Gedenkstätte Auschwitz wölbt sich in schmiedeeisernen Lettern die Aufschrift »Arbeit macht frei«. Das ist nicht nur in Auschwitz so; in Oranienburg mussten die Häftlinge schon 1933 unter dieser Inschrift das Lager betreten. In Auschwitz hatten Häftlinge sie 1940 nach einem eigenen Entwurf auf Befehl der SS geschmiedet. Es gab noch andere dieser Torinschriften, »Arbeit macht frei« ist wohl die schlimmste: zynisches Symbol der grausamen Unterdrückung. Gedanken konnten vielleicht befreien, aber die Arbeitsbedingungen in den Konzentrationslagern führten zwangsläufig zum Tod.

Der Schriftzug von Auschwitz enthält einen Akt des Widerstands, der - wäre er entdeckt worden - die Beteiligten in den Strafbunker gebracht hätte: Der Buchstabe B steht falsch herum, die große Wölbung oben, die kleine unten. Ein bewusster Widerstandsakt der Häftlinge.

Seit Mitte Juni dieses Jahres steht eine große Nachbildung dieses B auf dem Berliner Wittenbergplatz, in der Nähe der Gedenktafeln an die großen Orte der NS-Verfolgung: Auschwitz, Majdanek, Stutthof. »to B remembered« heißt die Skulptur. Gefertigt wurde sie von Auszubildenden des Volkswagenwerks Hannover in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Auschwitz Komitee. Zuvor hatten die Lehrlinge die Gedenkstätte in Auschwitz besucht.

Über die Geschichte des umgekehrten B ist wenig bekannt. Der ehemalige Häftling Tadeusz Szymanski, der die Gedenkstätte von Auschwitz nach dem Krieg mit aufgebaut und dort sein ganzes weiteres Leben in Freiheit verbracht hat, berichtete, dass er in den 50er Jahren einen Leidensgefährten traf, der erzählte, er habe das B geschmiedet. Die Umkehrung sei kein Versehen, sondern ein bewusster Widerstandsakt. Das war wahrscheinlich Jan Liwacz, ein polnischer Kunstschmied, der im Oktober 1939 von den Deutschen verhaftet und am 20. Juni 1940 nach Auschwitz deportiert worden war. Eine solche Protestaktion passt zu ihm, war Liwacz wegen Widerstandshandlungen doch mindestens zweimal in Isolationshaft.

Liwacz war nicht der einzige Häftling, der in Auschwitz Widerstand leistete. Im Gegensatz zur allgemeinen Wahrnehmung waren die Häftlinge nicht nur willenlose Opfer, sondern viele riskierten ihr Leben, um sich zu wehren oder anderen zu helfen. Das große B steht auch für jeden anderen Widerstandsakt im Lager, und mag er noch so klein gewesen sein, meint der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner: »Wenn ein Häftling sein Brot mit einem anderen teilte, wenn er auf seiner Pritsche ein Stück zur Seite rückte - jeder Akt von Mitmenschlichkeit war Widerstand. Denn das Ziel von Auschwitz war, den Häftlingen zuerst ihre Menschenwürde zu rauben und sie dann zu vernichten.« Das alles symbolisiere das große B.

Es war die Idee seiner Frau Michele Deodat, dieses Symbol für die Arbeit des Komitees zu nutzen. Zunächst im Kleinen: Seit 2010 hat das Komitee das B mehr als zehnmal verliehen: an Bundeskanzlerin Angela Merkel etwa, an Israels Präsidenten Schimon Peres, Polens früheren Außenminister Wladislaw Bartoszewski oder den einstigen Bundespräsident Christian Wulff. Sie alle erhielten ein kleines schmiedeeisernes B, das dem Original gleicht. Auch diese kleinen Skulpturen wurden Volkswagen-Azubis gefertigt.

Seit Jahren ist das Internationale Auschwitz Komitee mit den Vereinten Nationen eng verbunden. Ausstellungen des Komitees wurden dort gezeigt, es gab Treffen von Holocaust-Überlebenden mit Jugendlichen, die die Gedenkstätte besucht hatten. So entstand die Idee, der UNO das B zu schenken - als große Skulptur. Realisiert werden sollte das Projekt wieder von Auszubildenden aus Hannover. Sie hatten das Glück, in Auschwitz die Präsidiumsmitglieder des Komitees kennen zu lernen. Der 19-jährig beispielsweise Wladimir Schabalin traf die 87-jährige Eva Fahidi aus Ungarn, die der Vergasung in Auschwitz mit viel Glück entkam. »Sie hat mir ihr Buch geschenkt«, erzählt Wladimir. »Am meisten hat mich dieser Bruch in ihrem Leben beeindruckt: Im einen Moment hat sie noch eine große Familie, und im nächsten ist alles vorbei. Und dass sie kämpft. Sie geht von einer Veranstaltung zur nächsten, sie gibt nicht auf.« Eva Fahidi stemmt sich gegen den starken Antisemitismus in ihrer Heimat, gegen die Diskriminierung der Roma und gegen die Erosion der Demokratie.

Lisa Olbert hat Felix Kolmer kennengelernt, Vertreter des tschechischen Auschwitz Komitees. » Er hat von seiner Arbeit erzählt, aber er hat sich auch total für uns interessiert und für das, was wir machen.« Kolmer war vor Auschwitz in Theresienstadt inhaftiert. Dort floh er mehrfach, kehrte aber immer wieder zurück, um den Widerstand zu unterstützen. Interessiert hat er sich vor allem für das Projekt von Lisa und Wladimir, das große B. Beide waren zu diesem Zeitpunkt Auszubildende als Verspannungsmechaniker. Normalerweise fertigen sie an der Fräse Teile für Maschinen, die in der Autofabrikation eingesetzt werden. Das B war für sie allein schon wegen der Dimension eine Herausforderung: Es ist 1,50 Meter hoch und besteht aus 1,8 Tonnen Edelstahl, dazu kommt der über drei Tonnen schwere Sockel.

Ein großer Wert, den dieses Werkstück darstellte, und eine große Verantwortung für die jungen Leute: »Ich hatte Angst, dass wir etwas kaputt machen. Mir war zuerst gar nicht klar, wie wichtig das alles ist,« erzählt Lisa. Die Auszubildenden waren nicht allein am Projekt beteiligt. Zuerst musste ein Computerprogramm erstellt werden: » Ein paar Tage waren wir bei den Programmierern. Da haben wir auch die Geschichte des B geredet. Mit der Zeit haben die sich dafür interessiert,« so Wladimir. Jedes Teil der Skulptur musste programmiert werden, auch die Verbindungsstücke. Neun Monate dauerte das alles und erregte im Werk viel Aufmerksamkeit.

Am 11. Juni wurde die Skulptur vor 14 000 VW-Mitarbeitern präsentiert, am nächsten Tag auf dem Berliner Wittenbergplatz aufgestellt. »Das war schon etwas Besonderes, die Gesichter der Überlebenden zu sehen, als die Skulptur enthüllt wurde. Sie haben sie ganz genau angeschaut, sie haben sie angefasst. Es war ihnen wichtig. Das hat man gesehen,« hat Lisa beobachtet.

Christoph Heubner sieht in dem großen B auch eine Hommage an die europäische Idee. Die Holocaust-Überlebenden »glauben an den europäischen Zusammenhalt. Europa bedeutet ihnen Hoffnung«. Deshalb soll die Skulptur von Berlin über Paris, Budapest und andere europäische Stationen zur UNO nach New York wandern.

»Ich wünsche mir, dass die Leute nicht nur verwundert gucken, sondern verstehen, was das B bedeutet, vielleicht noch durch eine Informationstafel,« sagt Wladimir. »Was man daraus lernen soll? Dass man nichts Großartiges tun muss, dass man bei Ungerechtigkeiten nicht wegschaut. Kleinigkeiten sind besser als nichts.« Da ist sich der junge Mann einig mit dem Vorsitzenden des Auschwitz Komitees, Roman Kent. Er hat einmal gesagt: »Die Gleichgültigkeit der Vielen ist das Schlimmste.« Sie ermögliche auch heute Naziverbrechen. Deshalb müsste es ein elftes Gebot geben: »Du darfst nicht gleichgültig sein.«

 

Quelle: http://www.neues-deutschland.de/artikel/829378.das-umgedrehte-b.html