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Pressespiegel des Internationalen Auschwitz Komitees

30.06.2015

«Auschwitz-Prozess neue Dimension im Deutschlandbild der Opfer»

 
 

 

 

 

Quelle: europe online magazine

Von unserem dpa-Korrespondenten und Europe Online  


Viele Überlebende von Auschwitz und anderen deutschen Vernichtungslagern haben Jahrzehnte darauf gewartet, vor deutschen Gerichten auszusagen. Eine vielleicht letzte Chance gibt es in Lüneburg.

Warschau/Lüneburg (dpa) - Vor dem Lüneburger Landgericht geht der Prozess gegen einen ehemaligen SS-Mann wegen Beihilfe zum Mord im deutschen Vernichtungslager Auschwitz in die Schlussphase. Für die oft hochbetagten Überlebenden des größten deutschen Todeslagers war es die vielleicht letzte Chance, als Zeugen vor Gericht zu Wort zu kommen. Christoph Heubner, Vize-Exekutivpräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, zog im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur eine Zwischenbilanz des Prozesses aus der Sicht der Auschwitz-Überlebenden.

Frage: Wie erleben die ehemaligen Häftlinge den Prozess?

Antwort: «Der Prozess in Lüneburg konfrontiert die Überlebenden erneut mit den Auschwitz-Schmerzen, die sie ihr Leben lang begleiten. Aber er fügt ihrem Bild von Deutschland auch eine neue Dimension hinzu, die der späten Gerechtigkeit: Endlich haben sich in Lüneburg die Türen eines Gerichtssaals geöffnet, endlich sitzt vor Gericht ein SS-Mann, der nicht im Leugnen und Lügen verharrt, sondern der mit sich selbst, seiner Familie und seiner Geschichte ins Reine kommen will.

So ist dieser Prozess in der Ehrlichkeit des Angeklagten, der sich nicht in sein Alter, in attestierte Krankheit und in Verhandlungsunfähigkeit zu flüchten versucht, auch ein Signal an andere noch lebende Täter: Nehmt endliche eure Verantwortung an, sprecht von eurer Geschichte und eurer Schuld. Auf diese Signale der Täter haben die Überlebenden ihr Leben lang vergeblich gewartet. Und für die deutsche Gesellschaft ist dieser Prozess eine weitere Reifeprüfung auf dem Weg der Demokratie.»

Frage: War der Besuch des Prozesses auch ein Stück Genugtuung, nicht mehr Opfer zu sein, sondern Auge in Auge einem Menschen gegenübertreten zu können, der Teil des Auschwitz-Systems war?

Antwort: «Viele der Überlebenden, die in Lüneburg als Zeugen ausgesagt haben, haben ihren Hass auf die Deutschen längst überwunden. Sie haben über die Jahre viele Kontakte nach Deutschland aufgebaut, sie haben ihre Stimme für Toleranz und Demokratie erhoben. Sie empfinden sich nicht mehr als Opfer, sondern als Gestalter ihres Lebens und der zukünftigen Welt.»

Frage: Vor dem Prozess war davon die Rede, dass dieses Verfahren eine wichtige Geschichtslektion für junge Menschen sein könne. Haben sich diese Hoffnungen aus Sicht der ehemaligen Häftlinge erfüllt?

Antwort: «Gerade deshalb war und ist für die Überlebenden das Gespräch mit jungen Menschen das Wichtigste: Diese jungen Menschen werden ihre Erinnerungen an Auschwitz und die Namen ihrer ermordeten Familienmitglieder in die Zukunft begleiten. Zukünftig wird zu diesen Erzählungen auch das gehören, was derzeit in Lüneburg geschieht: Auch wenn es Jahrzehnte gedauert hat, haben sich gegen die demonstrative Vergesslichkeit und das Desinteresse viele Menschen gefunden, die der deutschen Justiz ein Stück Würde zurückgeben wollen.»


Zur Person: Christoph Heubner (66) ist Schriftsteller und Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees (IAK), einer Organisation von Auschwitz-Überlebenden. Der langjährige Mitarbeiter der Aktion Sühnezeichen begleitet regelmäßig Jugendliche bei Begegnungen mit ehemaligen Häftlingen und Besuchen der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Auschwitz/Oswiecim und leitet das Koordinationsbüro des IAK in Berlin.


Quelle: http://www.europeonline-magazine.eu/auschwitz-prozess-neue-dimension-im-deutschlandbild-der-opfer_399808.html